Willkommen beim Bundesverband der Gemeindereferent*innen Deutschlands e.V.

Auszüge aus dem aktuellen Magazin



Katholischer Fundamentalismus

von

Regina Nagel

Bericht zum Schwerpunktthema der GR-Bundesversammlung im Juli 2023:
Wie umgehen mit radikalen Strömungen in der katholischen Kirche?

Die Überschrift dieses Artikels greift das Thema des Vortrags der Bundesversammlung auf, die im Juni in Magdeburg stattgefunden hat. Referentin war Dr. Doris Reisinger. Vieles aus ihren Ausführungen wird im Mittelteil (B) ausführlich dargelegt. Vorangestellt sind Informationen zu Problemanzeigen, die zur Entscheidung für dieses Thema geführt haben (A). Abschließend geht es um Überlegungen zu möglicher Weiterarbeit bzw. Vernetzung (C).

A) Problemanzeigen
„Derzeit erlebe ich, wie eine ehemalige Jugendleiterin in die Fänge einer katholischen Gemeinschaft abgeglitten ist. Dort geschieht eindeutig Gehirnwäsche und geistlicher Missbrauch. Seelsorger, die diese Gruppen unterstützen, machen sich mitschuldig.“

Dieses Zitat stammt aus der bundesweiten Umfrage zu Machtmissbrauch im pastoralen Dienst im Sommer 2022 und ist im Buch „Machtmissbrauch im pastoralen Dienst“ auf S. 65 abgedruckt. Welche katholische Gemeinschaft könnte gemeint sein? Kommt Ihnen, liebe*r Leser*in eine bestimmte Gruppe in den Sinn? Oder – falls nicht – welche Bilder haben Sie vor Augen? Wie sehen die Mitglieder der Gemeinschaft aus? Was tun sie? Wie feiern sie Gottesdienst? Was ist verboten? Was wird gelehrt und vorgeschrieben? Wie funktioniert Mitgliedergewinnung?

Im Originalzitat wurde die Gemeinschaft benannt. Von verschiedenen Seiten wurde uns, den Herausgebenden, jedoch empfohlen, den Vorwurf zu anonymisieren. Wir sind dem Rat gefolgt und bekamen von anderen zu hören: „Warum traut ihr euch nicht? Diese Gruppierungen müssen namentlich benannt und offen kritisiert werden!“

Die Sorge, die im Zitat zum Ausdruck kommt, hören wir im GR-Bundesverband in letzter Zeit immer wieder, und zwar vor allem im Hinblick auf Bewegungen und Gemeinschaften, die man mit katholikal-charismatisch umschreiben kann und die katholisch-fundamentalistisch in ihrer Botschaft und oft gleichzeitig ästhetisch-modern-begeisternd in ihrem Auftreten erlebt werden. Es kamen Fragen auf: Wo kommt das her? Ist das gefährlich? Wieso unterstützen einige Bistümer solche Formen der Evangelisierung? Inwiefern kann es sich dabei um spirituellen Missbrauch handeln? Was ist, wenn der pastorale Nachwuchs zunehmend aus solchen Gruppierungen kommt? Wie damit umgehen, wenn wir im Berufsleben mit diesen Strömungen konfrontiert sind?

Nachdem es uns auf dem Hintergrund solcher Fragen gelungen war, Dr. Doris Reisinger zu einem Vortrag zu „Katholischem Fundamentalismus“ zu gewinnen, starteten wir eine Umfrage – vor allem unter den Delegierten für die Bundesversammlungen – unabhängig davon, ob sie zur Versammlung nach Magdeburg kommen würden oder nicht. Über 50 katholische Gruppierungen waren aufgelistet, verbunden mit der Bitte, anzugeben, welche von denen, die den Befragten bekannt waren, von ihnen als fundamentalistisch eingestuft werden und warum. Interessant war beim Sichten der Antworten, dass nur etwa 30% der Gruppierungen einem Großteil der befragten GR überhaupt bekannt waren, so z.B. Schönstatt, Night Fever, Opus Dei, Fokolare, Maria 1.0 und die Charismatische Erneuerung. Deutlich weniger bekannt waren z.B. Totus tuus, die Katholische Integrierte Gemeinde, die Loretto Gemeinschaft / Home Base, das Kloster Heiligenkreuz oder auch die Gemeinschaft der Seligpreisungen. Bei der Bewertung zeigten sich im Hinblick auf eine ganze Reihe von Gruppierungen Tendenzen, die manche davon ziemlich eindeutig als fundamentalistisch oder als nicht-fundamentalistisch einschätzten. Bei nicht wenigen gab es in den Begründungen allerdings durchaus gegenläufige Einschätzungen. Über eine Gruppierung schrieb z.B. eine Person: „Nicht fundamentalistisch, weil es frei angeboten wird und eine tolle Möglichkeit ist, mit Glaube in Berührung zu kommen“. Eine andere schrieb zur selben Gruppe: „Fundamentalistisch, weil: es gibt nur einen richtigen Weg des Glaubens, es wird moralischer Druck angewendet, die Beichte wird angepriesen und das alles verdeckt mit ‚netter‘ Musik.“

B) Vortrag von Doris Reisinger
Einleitend wies D. Reisinger darauf hin, dass es in ihrem Referat nicht darum gehen werde, katholische Gruppierungen in Deutschland in fundamentalistisch oder auch nicht einzusortieren, sondern darum, aus analytischem und religionswissenschaftlichem Blickwinkel Wissen zu vermitteln und so Hinweise zu geben, wie man in der pastoralen Praxis damit umgehen könne. Folgende vier Schritte hatte sie dafür vorgesehen:
1. Was ist katholischer Fundamentalismus?
2. Wo kommt katholischer Fundamentalismus her? Wie sieht er aus?
3. Wann ist Fundamentalismus gefährlich?
4. Wie umgehen mit fundamentalistischen Strömungen?

Bevor nun die Referentin ihre Überlegungen zu diesen vier Fragestellungen erläuterte, äußerte sie sich zu den Umfrageergebnissen. U.a. zeigte sie folgende Zusammenstellung von Begründungen von Umfrageteilnehmenden, warum sie Gruppierungen als fundamentalistisch einschätzen oder eben auch nicht:
Begründungen, warum nicht fundamentalistisch:
Ökumenisch ausgerichtet, empfinde ich als offen, Liebe Menschen, sehr bodenständig, nicht extrem, habe bisher nur gute Erfahrungen gemacht, viel zu lieb, um fundamentalistisch zu sein, einladend und nicht bestimmend, sie versuchen neue Zugangswege, offen zugewandt partizipativ, sozial hervorragend engagiert, Engagement für Bedürftige, friedensbewegt, viele liebe Menschen, sehr bodenständig und frei im Denken.

Begründungen, warum fundamentalistisch:
Sehr manipulativ, halten sehr am Althergebrachten fest, erheben den Anspruch, dass nur sie die „wahre“ katholische Lehre verbreiten, zu weit „rechts“, schwarz-weiß-Denken, wenig kooperativ, erzieht zu einer unkritischen Einstellung zur Kirche, ihre Positionen sind sehr beengend, stark vereinfachte Weltsicht, ausgrenzend, Glaubensbesserwisser, sehr von sich überzeugt, engstirnig, bewahrend und rückwärtsgewandt, Werbung sehr aufdringlich, sektenhaft, überhöhtes Priesterbild, mangelnde Freiheit der Mitglieder, lehnen in Diskussion theologische und wissenschaftliche Argumente ab, unkritische Haltung zur Kirche(nleitung), dass es kein Nebeneinander der Meinungen geben kann, vertritt die Lehre der RKK zu Ehe und Familie, es gibt nur einen richtigen Lebensweg, ohne Kompromisse, sehr priesterzentriert, frauenverachtend, Frauen in Röcken, bezeichnen Homosexualität als schwere Sünde, Zungengebet, prophetisches Reden und „Dämonenaustreibung“, einseitige Glaubensvermittlung, untergraben demokratische Strukturen; haben viel Geld und Besitz, wissen ganz genau, wie Kirche sein muss, Bevormundung der Mitglieder, ganz eigene Sprache und ganz eigene Praktiken, verboten.

D. Reisinger beschränkte sich an dieser Stelle darauf, Aussagen aus den Umfragen zu benennen, ohne sie weiter zu analysieren.
Schaut man sich die bewertenden Aussagen zu den Gruppierungen näher an, bei denen manche als Kriterien für „nicht fundamentalistisch“ schrieben: „viel zu lieb, um fundamentalistisch zu sein / ökumenisch ausgerichtet / sozial hervorragend engagiert“, dann wird deutlich, dass andere Umfrageteilnehmer*innen das „lieb“ als Einwickelstrategie im Sinne von „Love bombing“ wahrnehmen, dass auch konfessionsübergreifende Gruppierungen von manchen als fundamentalistisch wahrgenommen werden und dass „Soziales Engagement“ keine Garantie für Respekt gegenüber spiritueller Selbstbestimmung darstellt.
Interessant sind folgende, von D. Reisinger erstellte, Übersichten dazu, welche Gruppierungen als besonders fundamentalistisch eingeschätzt werden und welche nicht – u.a. gerade auch da, wo die Antworten nicht einhellig ausfallen (wobei man bei „Maria 1.0“ überlegen könnte, ob drei Personen die Gruppierung mit „Maria 2.0“ verwechselt haben könnten):

I Was ist katholischer Fundamentalismus?
Nach diesem Einstieg wandte sich D. Reisinger der ersten Frage zu und erläuterte Folgendes:
„Katholischer Fundamentalismus“ sei lange Zeit gar kein Thema gewesen, da mit christlichem Fundamentalismus ein protestantischer Biblizismus assoziiert wurde. Später wurde kath. Fundamentalismus als Abspaltung von der Kirche verstanden. U.a. waren damit die Piusbrüder gemeint, gegründet 1970 durch Marcel Lefebvre. Erst seit einigen Jahrzehnten gehe es nicht mehr nur um „Häresien“, sondern um letztlich antimodernistische Haltungen und Gruppierungen, denen es darum geht, die kirchliche Tradition zu stützen und „die unter Betonung eines besonderen Wahrheitsanspruchs moderne Prinzipien wie Pluralität, Toleranz, Relativismus und Säkularisierung ablehnen und damit letztlich das Postulat der aufgeklärten Vernunft negieren, d.h. den offenen Diskurs, die Entscheidungsfindung durch Kritik und Argument, den Begründungszwang für Normen und Traditionen.“

Abgelehnt werde durch Fundamentalismus also die Moderne, welche der Vernunft, dem Diskurs, der Wissenschaft und der Konsensfindung den Vorrang gibt vor Autortiät im Sinne hoheitlicher Verlautbarungen. Zurückgewiesen wird in fundamentalistischen Kreisen, dass Normen grundsätzlich begründungsbedürftig und veränderbar sind, ebenso moralische und rechtliche Selbstbestimmungsrechte, wie auch Mitbestimmungsrechte. Katholischer Fundamentalismus, so Reisinger, sei eine Ideologie, die bestimmte Normen, Quellen oder Ausdrucksformen katholischen Glaubens absolut setze und verlange, dass diesen unkritisch und kompromisslos gefolgt werde, z.B. dem Lehramt, der Bibel, der katholischen Sexualmoral oder auch einer Gründerpersönlichkeit. Katholischer Fundamentalismus lässt sich daran erkennen, dass er Pluralismus ablehnt, andere katholische Glaubensformen abwertet, sich dem Diskurs und der Kritik verweigert und persönliche Argumente und Lebenssituationen nicht gelten lässt.

II Wo kommt katholischer Fundamentalismus her? Wie sieht er aus?
Einleitend in diesen Abschnitt stellte Reisinger den Zuhörenden zwei aufeinanderfolgende Katechismusabschnitte vor Augen, die den Widerspruch der Traditionslinien „Autonomie“ und „Heteronomie“ offensichtlich machen. Wie auch soll es funktionieren, gleichzeitig auf das Gewissen und auf das Lehramt zu hören?

Lesen Sie den vollständigen Artikel im aktuellen Magazin!


Beim Vortrag von Doris Reisinger
Beim Vortrag von Doris Reisinger

Präsentation und Feier unseres Buchs: „Machtmissbrauch im pastoralen Dienst – Erfahrungen von Gemeinde-
und Pastoralreferent*innen“.
Präsentation und Feier unseres Buchs: „Machtmissbrauch im pastoralen Dienst – Erfahrungen von Gemeinde- und Pastoralreferent*innen“.

Bundesversammlung Juni 2023 im Roncallihaus in Magdeburg

von

Regina Nagel

„Es ist immer schön, engagierte Menschen zu treffen. Gute Vorbereitung! Dank an den Vorstand! Haus in Ordnung! Essen gut! Der Vortrag von Doris Reisinger sehr gut, informativ, wirft Fragen auf – auch an die Kirche an sich! Der formelle Teil ist manchmal anstrengend. Ich nehme viele Fragen über die Zukunft mit.“

Soweit eine (typische) Rückmeldung aus dem Kreis der Delegierten, die sich am Freitag, 16. Juni bis Samstag, 17. Juni zur Bundesversammlung getroffen haben. Im Zusammenhang mit den Berichten aus den Diözesen am Freitagabend bestand die Möglichkeit, Themen zu benennen, die in Bundesversammlungen aufgegriffen werden könnten oder sollten. Durch „Punkten“ haben die Teilnehmer*innen im Laufe des Wochenendes u.a. den Wunsch signalisiert, auf Bundesebene „Gegenseitige Resilienzverstärkung in Zeiten sich auflösender Berufsgruppen“ zu erleben oder auch, sich mit der Fragestellung „Pastorale Großräume und Berufsprofil“ auseinanderzusetzen. Im Anschluss daran stellte die AG Social Media ihre Ideen vor, wie die Instagram-Präsenz des Verbands gestärkt werden könnte. Der Höhepunkt des Abends war dann die Präsentation und Feier unseres Buchs: „Machtmissbrauch im pastoralen Dienst – Erfahrungen von Gemeinde- und Pastoralreferent*innen“.

Am Samstagvormittag wurde inhaltlich gearbeitet. Dr. Doris Reisinger referierte zum Thema: „Katholischer Fundamentalismus – Wie umgehen mit radikalen Strömungen in der katholischen Kirche?“ Die Zuhörenden waren hoch konzentriert dabei und dies nicht, weil die Mikrofonanlage im Saal besser sein könnte, sondern weil die vorgetragenen Inhalte - aus einem primär analytisch religionswissenschaftlichen Ansatz - sehr informativ waren. Die Beiträge aus der Versammlung bei der anschließenden Gesprächsrunde zeigten deutlich, dass es sich um ein Thema handelt, das Handlungsbedarf nach sich zieht. Gerade wir als in der Pastoral Tätige können uns für Sensibilisierung und Prävention starkmachen und sie auch selbst in unseren Arbeitsfeldern, wie z.B. dem Religionsunterricht aufgreifen und aktiv darin werden. Aus dieser Erkenntnis heraus war sich die Versammlung im nächsten Schritt einig, dass wir ein Diskussionspapier zum Katholischem Fundamentalismus und dem damit zusammenhängendem spirituellen Missbrauch herausgeben und an einen breiten Verteiler senden werden. Es wird dabei um die Forderung nach „Sensibilisierung und Prävention, wie auch Stärkung der spirituellen Selbstbestimmung“ gehen.

Der Nachmittag war, wie üblich, gefüllt mit vielen Einzelthemen, wie Vorstands- und Kassenbericht, Planung der Mitwirkung beim Katholikentag und weiteren Berichten und Ideen. Nach einem Abendessen im Haus zeigten Marion Bexten und Marie-Simone Scholz den Teilnehmenden noch so manches in der Nähe des Hauses, wie z.B. den Dom, das Hundertwasserhaus und die Elbe. Gemütlich klang der Abend in einer Bierkneipe aus. Das Fazit ist in einer anderen Rückmeldung so zusammengefasst: „Gute Gespräche, neue Erkenntnisse, tolle Begegnungen.“ Die Novemberversammlung wird online stattfinden und wir freuen uns jetzt schon auf die nächste Live-Begegnung in 2024 in Regensburg.

Lesen Sie den vollständigen Artikel im aktuellen Magazin!